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© 1987/89
17 min 02 sec
Super 8
16mm blow-up
Sixpack Film (Wien)
Light Cone (Paris)
Canyon Cinema (San Francisco)
      tabula rasa entstand rund um zwei Grundprämissen der Filmtheorie des Franzosen Christian Metz: a) Der Filmbetrachter ist genuin ein Voyeur und b) die Leinwand ist ein "Spiegel", in dem der Betrachter seinen Blick spiegelt und den Sinn des Gesehenen selbst zu erschaffen und zu beherrschen vermeint. Dieser zweite Punkt geht aus von den psychoanalytischen Erkenntnissen, wie das Kleinkind den Sinn von Welt selbst herzustellen glaubt. Das Kino wäre demnach eine Wiederholung frühkindlicher Erfahrungen, die als lustvolle Erinnerungen in unserem Unbewußten gespeichert sind.
Dieser Pakt zwischen Betrachter und Film hat bestimmte Voraussetzungen auf Seiten des Films. tabula rasa sucht einige davon auf und stellt sie heraus.
– Zunächst muß das Objekt des voyeuristischen Blicks figurativ sein, um "beherrschbaren" Sinn in oben beschriebener Weise zu machen. Dieser Formationsprozeß von Sinn wird in der Eingangssequenz von tabula rasa wiederholt: Nur langsam schält sich aus den rudimentären Formen des Filmbildes (Licht und Schatten) die Frau (der kurze Moment der nahen Haut: eine Referenz an den Blick des Kleinkindes). Zu sehen sind tatsächlich ausschließlich die Frau und ihre Bewegungen, und zwar in einem Spiegel. Kaum erkennbar geworden, entzieht sie sich schon wieder, um weiter zwischen Abstraktion und Figuration zu pendeln: "Le mirage allume".
– Die Kamera gilt als Instrument des Zeigens. Sie verhüllt aber ebensoviel durch die Begrenzung des Bildes (häufig gerade bei der Darstellung von Sexualität im Film). In tabula rasa rückt sie in das Bild, verdeckt so das Objekt des Blicks (die Frau): "La caméra: hidden hiding" (– eine Sequenz auch über den künstlichen Charakter des Filmbildes an sich, vermittelt über einen Dialog zwischen künstlicher Lichtquelle, der Sonne und dem Licht des Projektors hinter uns...).
– "Entwendet: l´image": das Objekt des Blicks beginnt sich zu entwinden, stellt sich auch als Bild in Frage. Das Kopieren von Positiv und Negativ des selben Bildes übereinander verweist auf seine Aufhebung, sein Verschwinden: "Ent–wendet: la lumière". Was bleibt, ist das reine Licht, die Leinwand ohne die Qualität eines Spiegels, unverfügbar und leer: "La lumière imaginaire".


Peter Tscherkassky

"Mit tabula rasa, seinem vielleicht 'filmischsten' Film, zielt Peter Tscherkassky mitten ins Herz der Kinoapparatur: Das voyeuristische Begehren als Bedingung jeder Kinolust steht hier auf dem Spiel. Was Christian Metz und Jacques Lacan theoretisch dargelegt haben, setzt tabula rasa in Szene.
Es wäre allerdings unrichtig, Tscherkasskys Arbeiten als bloße Bebilderung filmtheoretischer Ansätze aufzufassen. Begriffe und Konzepte dienen lediglich als Ausgangspunkt, denn was den Film funktionieren läßt, woraus sich seine Stimmigkeit ergibt, hat eher mit einem durchaus handwerklichen Umgang mit dem Filmischen als mit einer ausschließlich theoretischen Beschäftigung zu tun.
Zu Beginn von tabula rasa erkennen wir bloß Schatten, Reflexionen in einem Spiegel, aus denen sich nur zögernd das Bild einer sich entkleidenden Frau herausschält. Diese Bewegung vom Abstrakten zum Figurativen gipfelt in dem Bild der Frau (abgesehen von den Strümpfen unbekleidet und in Pin-up-Pose), welches allerdings sogleich wieder verschwindet, um den Weg der Auslöschung in umgekehrter Richtung zu durchlaufen.
tabula rasa nimmt die Distanz, das fundamentale Prinzip des Voyeurismus, insofern wörtlich, als er dem Zuschauer das begehrte Objekt zwar vorführt, es dessen Blick aber immer wieder entzieht. Die schwarzen Strümpfe der Darstellerin passen exakt in dieses Szenario. Sie halten den Körper auf Distanz, unterstreichen die Maskerade. Aber genau in dem Augenblick, wo man endlich zu sehen glaubt, ist die Kamera vor dem Objekt postiert. Auf diese Weise wird es eher verdeckt als entdeckt, was als kritische Offenlegung jener ideologischen Verdeckungsarbeit, die den standardisierten Spielfilm charakterisiert, gewertet werden darf."


Gabriele Jutz, Diesen Kuß der ganzen Welt - Zu den Filmen
von Peter Tscherkassky, Falter 42/89, Wien

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