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Alexander
Horwath
EINMAL TABULA RASA UND WIEDER RETOUR
Avantgardefilme von Peter Tscherkassky
Wer wie Peter Tscherkassky
in den 70er und frühen 80er Jahren beginnt, sich ernsthaft
mit Film und Avantgarde zu befassen, trifft auf eine Reihe von konkurrierenden
Ansprüchen, denen das Medium kaum mehr genügen kann:
1. In der gebräuchlichen Fortschritts-Chronik der Moderne ist
eine Art Endpunkt oder eine Sackgasse erreicht. Analog
zur Konzeptkunst, die das materielle Kunstobjekt ablösen sollte,
hat auch der Avantgardefilm den Nullpunkt" erobert, indem
er zugunsten eines Expanded Cinema" auf
das Material, den Zelluloidstreifen verzichtete.
2. Theorie erscheint nunmehr als legitime, wenn nicht gar letzte"
künstlerische Praxis.
3. Der in den 60er Jahren verbreitete Glaube an eine neue Wertehierarchie
im System Film zugunsten der Avantgarde, vergleichbar etwa
der Wertehierarchie im Betriebssystem Kunst hat sich als
illusorisch herausgestellt.
4. Mit Bezug auf Feminismus, Neomarxismus oder Psychoanalyse wird
die Filmgeschichte auf eine zweite", nichtformalistische
Avantgarde abgeklopft: Erzählung und Figuration gewinnen neue
Legitimität.
5. Video bietet sich der Kunstwelt als (zumindest technologische)
Avantgarde nach dem Film" an; gleichzeitig spricht Videokunst
(zumindest technologisch) die neue Sprache der Massen: TV.
6. Der Musiksender MTV, 1981 gegründet, spricht tatsächlich
zu den Massen, in seinem sales talk ist die Geschichte des
Avantgardefilms als Zerrspur enthalten.
Aus der Perspektive der Hochmoderne sind all diese Unternehmungen
tendenziell post"-modernistisch angelegt. Film gewinnt
die melancholische Aura eines zum Tode Verurteilten. Aber Psychoanalyse
erlaubt neue Metaphern: z.B. den von Freud zitierten Wunderblock,
ein Spielzeug, auf dem man immer wieder Tabula rasa machen und neu
zeichnen kann, obwohl irgendwo darunter" alles zuvor
Geschriebene als Spur und Möglichkeit bestehen bleibt.
Vor diesem Hintergrund erscheint Peter Tscherkasskys filmisches
Werk seit 1979 als paradigmatisch: als Krisenwerk. Es ist das Gegenteil
eines erratischen Blocks": keine kraftvolle, unbekümmerte
Ich-Behauptung, sondern eine Serie von Tastbewegungen auf hohem
Reflexionsniveau, durchlässig für die aktuellen Diskurse.
Das Werk enthält diverse Vorschläge für Überlebensstrategien"
des Avantgardefilms: Anschlußversuche und Rückgriffe,
Übergangslösungen, peinliche Selbstbefragung, Theoriebildung
und Theoriebilder, Feier des Materials, Relektüre historischer
Stoffe.
Tscherkasskys Filme sind von Beginn an zur Einsicht verdammt, daß
der historische Prozeß keine erreichte Position ungeschoren
läßt. Das gilt zum Glück nicht nur für die
Dekonstruktion kunstgeschichtlicher Fortschrittsphantasmen, sondern
auch für die Überwindung depressiver" Phasen.
So verwandeln sich im Lauf von zwanzig Jahren scheinbare Rückzugsgefechte
in befreiende Gesten der Wiederaneignung von Film.
Das Super-8-Format als künstlerisches Medium
tritt in Österreich in den späten 70er Jahren mit gänzlich
anderem Anspruch auf als in den urbanen (No oder New Wave) Subkulturen
von New York oder Berlin. Die jungen österreichischen Filmkünstler
Tscherkassky, Dietmar Brehm, Lisl Ponger u.a. nutzen
Super-8 nicht zur dokumentarischen Rückversicherung"
der Szene", sondern als Schritt zur Seite. So müssen
sie die reiche Tradition der Wiener Filmavantgarde weder verleugnen
oder dahinter zurückfallen" noch auf den neuen Video-Zug
aufspringen. Die ganze Palette bislang ungenützter Optionen,
die Schmalfilm bereithält, erlaubt ihnen einen fragilen Ausweg
aus dem reduktionistischen Dilemma, einen Trash-Weg um den Nullpunkt"
der Moderne herum: Die Materialkritik kann weitergehen, obwohl man
zum Bild zurückgekehrt ist (denn es ist ein anderes Bild).
Tscherkassky, 1995: Super 8 war ein Mikroskop, das unter die
Haut der Wirklichkeit zu dringen verstand, um dort wie kein
anderes Filmformat das Eigenleben der Bilder sichtbar zu
machen. (...) Das schönste aber war das Korn. 'Auflösung'
wird die Schärfenzeichnung des filmischen Bilds genannt. Super
8 war über solchen Firlefanz erhaben. Im kristallklaren, starken
Licht einer Xenon-Projektion konnte man Zeuge einer Auflösung
ganz anderer Art werden, wenn nämlich die Formen sich zurück
ins Korn zu verlieren begannen und aus amorph scheinenden Körperknäueln
unvermutet ganz andere, neue Formen auftauchten, nur um sich ebenfalls
in der bunten Ursuppe zu verlieren. Super 8 war der Pointillismus,
Impressionismus und abstrakte Expressionismus der Kinematografie."
Bevor Tscherkassky jedoch das Eigenleben der Bilder"
vorbehaltlos feiern kann, muß er eine Reihe spätmoderner
Problemstellungen und Vorgänger durcharbeiten, die ihn vor
dem gefürchteten anything goes", vor der Simpel-Postmoderne
bewahren sollen.
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Liebesfilm
(1982) etwa ist ein später, harter, origineller Rückgriff
auf den Strukturfilm: ein Ernüchterungs-, ein Kinoideologieaustreibungsritual.
Eine Frau und ein Mann knicken aus dem Perforationsrand ins
Bild, sie von links, er von rechts, doch ein einziger Kader
Filmzeit trennt sie vom vollzogenen Kuß. Diese Bewegung
wiederholt sich etwa 600mal: obsessive Repetition des unerfüllten
Begehrens, ein Urbild des Industriekinos als Mythos des Sisyphos.
In Urlaubsfilm (1983) kommt die libidinöse Kinoapparatur
noch deutlicher ins Blickfeld. Die Lust an der bunten
Ursuppe" der Super-8-Bilder trifft auf männlichen
Voyeurismus: Weibliche Körperteile und Stimmen werden ungefragt
in eine flirtistische Beziehung zum Zuschauer gebracht und dessen
Zugriff" durch exzessives Abfilmen
gleich wieder entzogen. Als Voyeur mit Problembewußtsein
legt der Künstler die Grenze fest, an der die (entzogene)
Blicklust in (hervorgepumpte) Material-Lust übergeht.
Die Kunstwelt der 80er Jahre erklärt die Immaterialien"
Video- und Computerbilder zur zentralen Angelegenheit.
Peter Tscherkasskys intensive Betonung des Handgreiflichen,
der Manufraktur", ist auch als Gegenreaktion zu diesem
Wandel lesbar. Freeze Frame (1983) spricht davon in seinen
Bildinhalten wie in der äußerst aggressiven Machart.
Die Integrität des einzelnen Filmkaders wird immer stärker
ausgehöhlt, aber in der Destruktion, in der Ruine, kommt
das Materielle erst recht zu sich. Die im Projektorlicht verglühenden
Kader am Ende des Films liefern dazu die passende Pathosformel.
Motion Picture (1984) und Manufraktur (1985) betreiben
die Errettung der Materialien" auch durch ihren
Rückgriff auf die Geschichte des Industriefilms. Aber
während Tscherkassky die gefundenen Werbefilmstreifen
von Manufraktur vor allem Frauenbeine und Autos
auf der Optischen Bank zum Rasen bringt, einen neuen
Filmraum erzeugt und damit seine spätere Arbeitstechnik
vorwegnimmt, lotet Motion Picture noch einmal, und
praktisch uneinholbar, die Optionen des Konzeptfilms aus: |
Ein Standbild aus dem Lumière-Film Arbeiter verlassen die
Fabrik (dem ersten" Film überhaupt) wird mittels
komplexer Manöver abgetastet" und wieder in Bewegung
versetzt. Doch die Distanz zwischen dem historischen Artefakt und
der heutigen Wahrnehmung ist unüberbrückbar: Wir sehen nur
mehr schwarze und weiße Flecken. Die Technik, die der Künstler
hier anwendet, ähnelt einer Digitalisierung" des Vor-Bilds.
So wird Motion Picture, ein Film aus der Beginnzeit des Personal
Computers, auch zum prophetischen Kommentar über den Paradigmenwechsel
in der Kultur des späten 20. Jahrhunderts, der in seinen Auswirkungen
durchaus vergleichbar ist mit jenem Wandel um 1900, für den der
Name Lumière prototypisch steht. Arbeiter verlassen die Lumière-Fabrik,
die Licht"-Fabrik, die Filmfabrik. Im letzten"
Motion Picture kehren sie noch einmal zurück, eingeschlossen
im Material, unsichtbar, geschluckt vom historischen und vom binären
Code.
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Mit
einem Dreischritt zum Thema Film- und Selbsttheorie"
vollzieht Tscherkassky den Übergang von Super 8 zum 16mm-
und 35mm-Film. Shot-Countershot (1987), tabula rasa
(1987/89) und Parallel Space: Inter-View (1992) sind
stark von seiner Rezeption der psychoanalytischen Filmtheorie
geprägt; er durchläuft selbst eine mehrjährige
Psychoanalyse; und er unternimmt den Versuch, diese Formen von
Wissen und Reflexion im Film auf Film und auf seine eigene
Rolle im Apparat des Begehrens anzuwenden.
Die visuelle Brillanz von tabula rasa und Parallel
Space ist mitverantwortlich für die steigende Anerkennung
von Tscherkasskys Werk in diesen Jahren. Zugleich loten die
beiden Filme mit ihrer theoretischen Dramaturgie"
die Grenzen des filmisch Vermittelbaren aus. Sie berühren
das Privateste" des Kinos wie das Privateste des
Künstlers. Doch selbst dieses Letztinnere kann sich nur
wieder in Bildern Ausdruck verschaffen, veräußern,
und büßt damit seine angebliche Letztgültigkeit
ein. Die weiße Leinwand, die am Ende von tabula rasa
übrigbleibt, ist auch nur ein Bild; vor allem eines, das
sich gleißend nach außen richtet: an uns, an unseren
Ort in der Welt und im Kino.
Parallel Space verschreibt sich gleich zu Beginn einer Physik
des Sehens" und Physik der Erinnerung" . Zu
diesem Zweck erzeugt Tscherkassky massive, neuartige Flicker-
und Raumverlusteffekte. Aber je mehr sich das vom Film postulierte
Ich" und der Betrachter im Kollaps der Bilder verlieren,
desto faszinierender erscheint der Ort, den sie dort finden.
Die Physik" des Sehens führt unablässig
zur Frage zurück, was es überhaupt zu sehen
geben könnte. Am Ende steht ein Satzfragment: looking
for you. Das meint sichtlich den anderen Menschen, die Welt,
doch dazu auch eine neue oder wiedererweckte Bildlichkeit, Sinnlichkeit,
Film. Tscherkasskys Arbeitsplatz, die Optische Bank ist
wie ihr Name schon sagt kein Vernichter, sondern
ein Speicher und Vermehrer von Visualität und Repräsentation.
Die Arbeit mit gefundenem", existierendem Filmmaterial,
wird in den 80er und frühen 90er Jahren weltweit zur dominanten
Form des (Post-)Avantgardefilms. Für Tscherkasskys Werk
ist die Hinwendung zum Found-Footage-Kino besonders fruchtbar:
Er vermeidet modische Kurzschlüsse, behält seine ursprünglichen
Reflexionsziele im Auge und findet dennoch zu einer großen
Gelassenheit und Freiheit im Umgang mit dem Medium von
Shot-Countershot, einem der besten und klügsten
Witze der Film(theorie)geschichte, über die geisterhaft-tänzerische
Amateurfilm-Hommage Happy End (1996) bis zu seinem Meisterwerk
Outer Space (1999). Statt der traditionellen Totalabgrenzung
vom industriellen Film, die der Avantgarde oft eine Aura der
Frustriertheit" verlieh und so erst recht ihre Fixierung
auf den übermächtigen Goliath verriet, wird Hollywood
nun selbstbewußt hereingebeten: Fürchtet Euch nicht,
denn es gibt viel zu lachen aber nicht unbedingt auszulachen
(diese seichte Haltung unterschätzt völlig den Reichtum
des Industriekinos). Eher gilt es, mit den gefundenen
Filmen oder aus ihnen heraus zu lachen; mit ihrer Schönheit
schön zu sein, mit ihrem Wissen und ihrem Unbewußten
neues Wissen zu erzeugen.
Zusätzlichen Auftrieb erhält diese Arbeit durch die
aktuelle Krise des Materials Film angesichts der
rapiden Umstellung einer ganzen Branche auf digitale Produktion,
Distribution und Projektion. In Tscherkasskys Händen wird
der industrielle 35mm-Film zum wollüstig form- und erweiterbaren
Bild-und-Ton-Körper. Dessen spezifische Material-Möglichkeiten
sind keineswegs obsolet oder ausgeschöpft, sondern ebenso
dramatisch wie die Genre-Geschichten und Illusionen, denen der
35mm-Streifen meist als ahnungsloser" Träger
dient.
Outer Space benützt als Vorlage den Horrorfilm The
Entity: Eine Frau (Barbara Hershey) betritt ihr Haus in
der Vorstadt, wo sie von einem unsichtbaren Ungeheuer, einer
Kraft von außen" attackiert wird. Sie schlägt
zurück und wartet auf den nächsten Angriff. Mit Hilfe
dieser Hollywoodgeschichte erzählt Tscherkassky eine andere:
Eine Frau betritt ihr Bild im Kino, wo sie von einem
nur für uns sichtbaren Ungeheuer", einer
Kraft von außen attackiert wird: von der rauhen Wirklichkeit,
vom Außenfeld des Bildes. Sie wird bedroht von der zackigen
Lichtspur des Tons, von der Perforation und den Sounds der Manufraktur,
von der plötzlichen Vervielfältigung ihres eigenen
Abbilds, von der Durchlöcherung ihres Bildraums, vom Hängenbleiben
der Filmzeit. Das Ungeheuer" rotiert und eliminiert
die Frau aus dem Bild. Der Sieg scheint total, Ruhe kehrt ein.
Aber sie wehrt sich und gewinnt vorläufig sogar ihr integrales
Abbild und ihre Stimme zurück. Das Ungeheuer"
verharrt in Betriebsbereitschaft. Alle Spiegel zeigen die Frau.
Die Frau hat alle Spiegel im Blick. Die Kontrahenten sehen einander
an, mit gespannter Aufmerksamkeit. Sie könnten Verbündete
sein. Remis.
Diese zweite Geschichte ist materialistisch, selbstkritisch
und kryptofeministisch. Und sie ist eine Allegorie. Sie erzählt
von jenem Moment der Krise, in dem der illusionistische Held
und der moderne Künstler-Held aufhören, blind aufeinander
einzuprügeln weil sie einander, ihr Anderes, plötzlich
erkennen. Der eine sieht die Wirklichkeit (jenseits der Fiktion);
der andere die Wirklichkeit der fiktionalen Bilder. Sie könnten
Verbündete sein. Remis. |
Dieser Text basiert auf dem umfangreichen Essay von Alexander Horwath,
Singing in the Rain. Superkinematografie von Peter Tscherkassky.
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